... ich mir meine Frage selber. Hätte ich zu Alex sagen sollen: „Ach ja. Da ist dieser Typ, der aussieht wie der Junge von dem Bild. Er heißt Andi und er läuft mir immer wieder über den Weg, wobei er mir Handküsse gibt!“ Außerdem gestand ich mir ein, daß ich Angst hatte Alex zu verlieren, wenn ich ihm die Wahrheit über meine verworrenen Gefühle erzählen würde. Ich kam mir reichlich unfair vor, deshalb schwor ich mir daß ich, sobald ich mir über mich selbst im Klaren war, mit Alex offen reden würde. Dieser Beschluß beruhigte mein Gewissen ein wenig, wenn auch nicht genug. Als ich nach Hause kam, nahm ich mir vor einen spannenden Film anzusehen, damit ich meine Gedanken mal auf etwas anderes lenken konnte, als ständig auf diese zermürbenden Fragen über das Warum und Wieso meiner Erlebnisse. Es gab auch tatsächlich einen Krimi, den ich mir antun wollte und der recht spannend begann. Während der Werbepause fiel mein Blick auf die Ablage unter dem Couchtisch. Dort entdeckte ich die Briefe von meinem Dachboden, welche ich in der Hektik der letzten Tage total vergessen hatte. Zögernd streckte ich die Hand aus, schüttelte dann aber den Kopf. Nein, ich würde sie heute nicht mehr lesen. Endlich ging der Film weiter. Bis zur nächsten Werbepause hielt ich es aus, dann konnte ich nicht mehr widerstehen und nahm die Briefe zur Hand. Die bereits gelesenen legte ich zu Seite und begann die restlichen zu lesen. Als ich den letzten Brief gelesen hatte, legte ich ihn wie in Zeitlupe aus der Hand. Ich konnte noch gar nicht richtig fassen, was ich erfahren hatte. Aus den beiden letzten Briefen ging hervor, daß meine Großmutter tatsächlich mit ihrem Stavros geflohen war und sie sich heimlich von einem neutralen gutmütigen Pfarrer hatten trauen lassen. Als sie jedoch glücklich als Paar in ihr Dorf zurückgekehrt waren, hatte dieFamilie meiner Großmutter sie aus dem Haus geworfen und sie ohne Pardon verstoßen. Allerdings waren nicht alle aus der Familie so engstirnig und borniert, denn die Urgroßmutter meiner Oma, die am Rande des Ortes in einem kleinen Häuschen lebte, verabschiedete sich liebevoll von ihr und gab ihr - trotz ihrer Proteste - einen großen Teil ihrer Ersparnisse mit. Auch ein wertvolles Perlenarmband hatte sie ihr zur Erinnerung geschenkt. Stavros Familie gab ihnen auch alle guten Wünsche mit auf die Reise, allerdings waren sie zu arm, um ihn finanziell zu unterstützen. Stavros hätte das auch gar nicht gewollt, denn er war ein stolzer ...
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