... Momenten die Freiheit schien. Allerdings durfte sie Retenu nicht unterschätzen. Sie wußte genau, daß er das schnellere Pferd hatte und bei einem Fluchtversuch sie jederzeit einholen würde. Nein, sie mußte auf eine andere Gelegenheit warten. Sie schüttelte die trüben Gedanken ab und nahm sich vor, den Ausflug in die faszinierende Welt außerhalb der Villa einfach ohne Hintergedanken zu genießen. Die Sonne ging inzwischen als glühender Ball über den Felsen auf und tauchte die Welt in ein Spektrum von Farben. Lena zügelte die Stute und schaute fasziniert auf das wundervolle Bild, das die Landschaft bot. Die Schatten der Felsen von tiefem Violett, die Felsen selbst golden, ihre Ränder rot umrissen und der Himmel in allen Farbtönen von Rosa bis Purpur, Lena fühlte sich wie mitten in einem Regenbogen. Retenu hatte seinen Hengst neben ihr gezügelt und wies mit der Hand auf eine schräg vor ihnen liegende Tempelruine, die Lena noch gar nicht gesehen hatte. Es standen nur noch ein paar abgebrochene Säulen und ein Stück Mauer. Retenu winkte Lena, ihm zu folgen und ritt auf das Gemäuer zu. Vor den Säulen stieg er ab und half auch Lena aus dem Sattel. Zu Lenas Erstaunen war aus der Nähe doch mehr von dem Tempel erhalten, als sie gedacht hatte, es war sogar noch ein Stück des Daches da und verblasste Zeichnungen und Hieroglyphen bedeckten die uralten Wände. Retenu führte die Pferde in den Schatten der Mauer, dann winkte er Lena zu sich. Sie fragte sich, was er da wohl tue, als er plötzlich zu ihrem großen Erstaunen aus einer schattigen Ecke eine Art Truhe hervorzog. Sie war vollends sprachlos, als Retenu diese öffnete und ihr eine prachtvolle Decke entnahm, die er auf dem Boden im Schatten ausbreitete, und auf die er nacheinander alle möglichen Köstlichkeiten zauberte. Retenu hatte wohl die Kiste von einem dienstbaren Geist hier deponieren lassen, und es konnte gar nicht zu lange her sein, denn die Limonade, die er Lena reichte, war noch wunderbar kühl. Während sie aßen und tranken, fragte Lena Retenu über die Pferde aus und erfuhr, daß ihre Stute Aisha und sein Henst Abu hieß und daß er die Stute extra für sie von einem bekannten Pferdezüchter gekauft hatte. Die Unterhaltung lief ganz gut, denn wenn Retenu eine Frage nicht mit ja oder nein beantworten konnte, konnte er die Antwort mit den Fingern in den weichen Sand schreiben. Nach dem Essen lehnte sich Lena in wohliger Mattigkeit an die kühle Mauer. Die Sonne war inzwischen so hoch ...
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